Dienstag, 26. Februar 2013

Spirit Agent - Depth Perception


Release Date:
1999

Label:
Navigators Inc.

Tracklist:
01. Exit Into
02. Ultraviolet Light
03. Womanism (Feat. Seven Star)
04. Servant Of The Center
05. Bioluminescence
06. Revolt
07. Cyclist
08. Discovery of Sole
09. Mind Virus
10. Vibrance
11. Further
12. Agents
13. Enchantment
14. The Voices In My Head
15. Inciting

Review:
Richmond Heights zu Beginn der Neunziger: Während in Sachen HipHop in ganz Florida der Miami Bass regiert, erhält ein gewisser Tory Jackson von seinem Cousin Tapes aus New York, was direkten Einfluss auf den Stil des sich im Verlaufe der Dekade als Stres mit seiner Crew The All in der lokalen Untergrundszene Miamis einen Namen machenden Rapper hat. The All bestehen im Kern noch aus Plex sowie Habib The Mysti alias Uday und Equate alias Bernbiz (das hintere Duo wird später als Evolver tätig sein). Mit einer selbst finanzierten EP generiert man einen kleinen Buzz und legt damit den Grundstein der in Form von Releases dokumentierten Alternativ-Szene Miamis. Es folgt die Gründung von Navigators Inc., das als Label und Fusion aus Gleichgesinnten (im Bunde sind noch Plex' ebenfalls schon bestehende Gruppe Algorithm sowie Seven Star) als Plattform dienen soll. Erstes Release bildet "Depth Perception", das Debüt der als Spirit Agent auflaufenden Stres und Plex.
WRITTEN FOR Rap4Fame

 Eine Sache sei gleich zu Beginn festgehalten: Spirit Agent ist anders, als man es erwarten würde, wenn Heads aus Florida vom New York der Frühneunziger beeinflusst sind. Die Kombo an sich - Plex Luthor als Produzent und Stres als Rapper - ist ganz und gar gewöhnlich, doch das war's dann auch schon. Ein erster Hinweis ist der Name: Mit Spiritualität hat die Scheibe nichts zu tun, "Spirit" meint das Unperzipierte, Unformulierte, Unbekannte, das den Menschen umgibt, Stres ist der "Agent", der Übersetzer, dessen Output seine Raps sind. Dieser hochtrabenden Maxime lassen Plex und Stres aber auch direkt Taten folgen, nicht etwa in einer wissenschaftlichen Abhandlung, sondern in musikalisch-dichterischer Essenz. Hier treffen sich die kongenialen Geister eines Sound-Architekten, der sich Zeit beim Basteln seiner Beats nimmt und selbige nur auf seinen momentanen Emotionen aufbaut, um mit exklusiver, ausgefallener, unverbrauchter Arbeit aufzuwarten, und eines Poeten, der mit einem einzigartigen Stil das Protokoll tiefster Kontemplation vor dem Hörer ausrollt. "The mind wanders where logic can't solicit". Eine Kumulation unwahrscheinlich tiefgründiger Beats trifft auf lyrische Ergüsse, die sich dank bedachter Eloquenz ungemein umfassend erstrecken. Feste Themen und Songkonzepte ergeben sich dabei kaum, die Ausnahme ist "Womanism", das dem schönen Geschlecht auf noble Art schmeichelt und zum starken Beginn des Albums zählt. Doch es wird noch besser. Denn für Fehler haben Spirit Agent weder Zeit noch Platz. In ihrem bilateralen Zusammenarbeiten hatten sie kaum je etwas an dem Beitrag des anderen auszusetzen, und das aus gutem Grund. Schon mit den ersten Sekunden knospt dieses Album, nur um wenig später aufzublühen in einer sonderbar beruhigenden, meditativen Art, dem Spiegel von Plex' Gemütszustand, in dem sich Flöten, Klavier und sachte Streicher die Hand reichen, nur um Stres' Worten zu lauschen, die in nicht minder ruhiger Art gesprochen werden und dabei die Schablone von Bars und Endreimen oft links liegen lassen - das perfekte Arrangement von in Lo-Fi-Laken gebetteten Samples fordert nicht danach. So baut das Klavier aus "Cyclist" zum melancholischen, selbstreflektierenden "Discovery Of Sole" auf, fließt das ganze Album ohne die kleinste Unstetigkeit voran, ohne je unnatürlich oder gezwungen zu klingen. Für die ergreifende Stimmung von "Enchantment" Worte zu finden, fällt schwer. Shades Lachen zu Beginn, Plex' surrendes Instrumental mit den hintergründig aufsteigenden Wasserblasen - so klingt HipHop-Seelenfrieden. Shade (Plex' damalige Freundin) findet mit einem Intro auf Französisch für "Voices In My Head" dann auch den rechten Übergang, auf dass sich das Album bis zu den drückenden Streichern in "Inciting" keine Blöße gibt und an dieser Stelle noch mit einem Zitat aus dem ekstatischen, frohsinnigen "Vibrance", welches das Wesen dieses Albums angemessen repräsentiert, beschrieben sei:

"The analytical tongue, critical as lung respiration
Political among no hypocritical sung intonation
Slung from my imagination, hung to esthetics
My tongue in moderation, it is clung to poetics
The synthetics are pathetic, they falter from the start
I alter the genetics of this art
"


 "Is this art or trash?" fragt Stres und könnte dabei keine eindeutigere Antwort erhalten. Nicht nur ist dieses Album Kunst, es ist zudem Pionierarbeit, das erste Manifest der in den folgenden Jahren recht lebendigen Untergrundszene Miamis. Der Einfluss auf Gruppen wie Cyne ist sehr naheliegend. An "Depth Perception" kam in dieser Form jedoch kein Album mehr (nicht aus Miami und von anderswo erst recht nicht) heran. Trotz des Equipments (das nicht das hochwertigste war) und des sich ergebenden, durch das ganze Album ziehenden Lo-Fi-Sounds - oder gerade deswegen - gibt es hier nichts zu verbessern. Obwohl direkt im Anschluss ein zweites Album geplant war, kam es nur noch zu der ebenfalls sehr hörenswerten "Input/Output EP", dann löste sich das Duo auf, Navigators Inc. schloss ebenfalls recht bald die Pforten. Doch aus diesem Release gingen indirekt Counterflow und zu gewissem Grad auch die Beta Bodega Coalition hervor, was der Welt in der Folgezeit weitere hochwertige Releases aus Miami bescheren sollte.

9.4 / 10

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