Montag, 19. September 2011

Constant Deviants - Concrete Utopia


Release Date:
12. November 2010 (LP) / Juli 2011 (CD)

Label:
Six2Six Records

Tracklist:
01. Dead Man Walking
02. Life Portrayal
03. Writer's Block
04. American Dream
05. Come Equipped
06. ABCD's
07. Press Your Luck
08. Virtuosity
09. Competition Catch Speedknots (Remix)
10. Violence Interlude (Feat. One Speaker Supreme)
11. Gimme Respect
12. See A Part Of Me
13. Jewelia
14. Fools Rush
15. Problem Child (CD Bonus)
16. Feel That (CD Bonus)
17. Cities Under Siege (CD Bonus)
18. Who I Be (M.I.C.) (CD Bonus)

Review:
Die Kiste der verlorengeglaubten Schätze hat wieder etwas ausgespuckt: Dreh- und Angelpunkt ist Six2Six Records, das gegen Ende 2009 erstmals von sich reden macht und das praktisch aus der Asche von DJ Rockit's Launchpad entsteht, einem Label aus Baltimore, das in den Neunzigern einige Zwölf-Inches von einer Handvoll Künstler veröffentlicht. Einer dieser Namen ist Constant Deviants, ein Duo bestehend aus M.I. (Mr. Impossible aus Baltimore, der Mitte der 90er in Jersey lebt) und DJ Cutt (New Jersey), die sich 1992 auf einer Party trafen und inzwischen auf einen fruchtlosen Deal mit Arista und zwei weitere Indie-Deals zurückblicken können, welche Mitte der Neunziger zu einigen Tracks führten, die in der ostküstlichen Indie-Szene vertreten waren und unter anderem (dank glücklicher Umstände) in Stretch & Bobbito's Playliste liefen. Das Duo nahm sogar zwei Alben auf, eines im Jahr 1995 und eines ungefähr drei Jahre später, veröffentlicht wurde aber kaum etwas, man verschwand in der Versenkung. Hier kommt Six2Six ins Spiel, die 2010 eine erste 12" veröffentlichen und aufgrund bestehender Nachfrage das '95er "Concrete Utopia" limitiert als Vinyl veröffentlichen. Nachdem die 300 Kopien schnell vergriffen sind, legt man sogar ein (noch limitierteres) CD-Release hinterher.

WRITTEN FOR Rap4Fame
 
"Irgendein langweiliges Neunziger-Album also" möchte man vielleicht denken, wenn da nicht die Tatsache wäre, dass das wenige Vinyl, das von den beiden noch im Umlauf ist (u.a. die "Competition Catch Speedknots"), in Kenner-Kreisen sehr begehrt ist. Doch diese Szene sprang schon vor Freude im Dreieck, als die Ankündigung zur Veröffentlichung dieses neuen Materials ins Netz sickerte (die hier in ihrer um vier Tracks erweiterten CD-Version im Kreuzfeuer steht). Viel wichtiger ist, dass die Constant Deviants ein heißer Tipp für jeden sind, der sich mit HipHop der Neunziger identifiziert, denn auf gewisse Art und Weise sind M.I. und Cutt eine typische Gruppe jener Zeit, die deren typischen Sound leben. Der springende Punkt ist, dass die beiden die Sache mit Stil durchziehen - und zwar einem sehr subtilen Stil. In den Neunzigern würde gebrüllt, in der Kanalisation gewütet, es wurde von den Kriegen in den Schluchten NYs berichtet - kurzum: Für halbherzige Hustler war kein Platz. In dieser Szenerie steigen die Constant Deviants ebenfalls mit Spuren von Reality Rap im Blut in den Ring, fahren aber ein ganz eigenes Tempo, das (zumindest teilweise) viel eher an Pete Rock oder noch smoothere Vertreter erinnert, während M.I. auf dem Rücksitz Platz nimmt und in äußerst ungestresster Art und Weise seine Sicht der Dinge präsentiert. Dass er sowohl stimmlich als auch flowtechnisch an Rakim erinnert, ist weniger ein Malus als ein Hinweis darauf, wie souverän er über die teils wunderschönen Produktionen flowt. Der Anfang lässt allerdings noch etwas anderes vermuten, denn "Dead Man Walking" ist aggressiv, düster und wirft den Hörer unversehens in ein Kriegsgebiet ("If I get home, will I remember this? / Medics bag the body, send their names through the system / My man got hit, grenade victim."). Richtig im Album angekommen ist man, wenn einen Cutt's dezente Streicher in "Life Portrayal" und M.I.'s tägliches Leben empfangen, das aus der Sicht eines Veteranen immer unverblümt direkt erzählt wird. So wird es für "American Dream" und typisch perspektivlose Raps wieder etwas düsterer, auf dass im Remix zu "Competition Catch Speedknots" wieder die sonnigsten Klänge, zu denen ein solches Street-Album fähig ist, überragend gut aus den Boxen scheinen. Ächzende Snares treiben das von sehr dezentem Glockenspiel begleitete "See A Part Of Me", während M.I. wieder vom Hustler-Leben und davon, was es aus einem macht, berichtet. Der Gott-Emcee ist er zwar nicht, aber auch wenn er in technischer Hinsicht keine Bäume ausreißt, rappt er mit einer sympathischen Selbstverständlichkeit ("I'm like a urinal, cause brothers ain't shittin' on me"), dass man zu keinem Zeitpunkt auch nur ansatzweise gelangweilt ist. Zwischendurch schaut One Speaker Supreme für ein Interlude vorbei, das ebenso wie einige andere Tracks ("Gimme Respect", "Come Equipped") ein wenig hinter den Hochkarätern zurückfällt. Auch "Jewelia" ist nicht Cutt's beste Arbeit, wenngleich die Raps über M.I.'s Traumprinzessin, mit der er über das Buch, welches sie gerade liest, ins Gespräch kommt, erste Sahne sind. Richtig edel ist dafür "Fools Rush" mit seinen sachten Streichern. Die vier Bonus-Tracks umfassen die von Six2Six schon auf Vinyl veröffentlichte "1995 Demo" sowie die 12" zu "Problem Child" ("Kids don't play that "Meet me after school" no more / They handle things then and there with a .44"), das als einer der Klassiker dieses Duos und als Stück Neunziger-Himmel an dieser Stelle absolut gerechtfertigt ist. Ähnliches gilt für "Feel That" mit einem sehr eigentümlichen Loop, der schnell vom Hörer Besitz ergreift.

Warum man beim Cover Led Zeppelin kopiert hat, ist mir übrigens ein Rätsel, doch da es zur Musik passt stört der Umstand nicht wirklich. Darüber zu philosophieren wäre sowieso nur eine Ablenkung vom eigentlichen Thema, das in den Beats von Cutt und den abgeklärten Rhymes von M.I. gerade als einstündiges Plädoyer abgehalten wurde. Was die Constant Deviants hier abziehen ist in seinen besten Momenten der Himmel des HipHop-Heads. Dabei sei nochmals erwähnt, dass man es hier mit einem etwas subtileren Stil zu tun hat, der sich nicht in der Vordergrund drängt, gerade deshalb an manchen Stellen aber so unglaublich stark ist. In seiner Gesamtheit und auch in der eigentlichen, 14 Tracks starken Version ist "Concrete Utopia" rundum gut, aber kein Meisterwerk. Trotzdem hätte es schon damals als der etwas andere Report über den harten Straßenalltag ein Release verdient gehabt und sollte selbst gute fünfzehn Jahre später keinesfalls übergangen werden.

6.7 / 10

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